Donnerstag, 24. April 2025

Wie altmodisch — Zeichnen von Hand und nach Augenmaß

Das Zeichnen als Dokument einer Zeit —
heute überflüssig?

"Mein Agnes" — wer kennt sie nicht? Die Ehefrau des Künstlers Albrecht Dürer, hier in einem Schnappschuss noch jugendlich dargestellt, nachdenklich, vielleicht sorgenvoll. Der Erwerb durch Kunst war nicht leicht, das spornte sie jedoch an, eine geradezu moderne Vertriebsmethode der Kunst ihres Gatten zu entwickeln, sie erkannte die Chancen der vervielfältigten Grafik, wozu auch die Erfindung der Corporate Identity, des Logos beitrug, mit dessen Hilfe sie sich auch schon gegen Plagiate wehren konnten und mussten.

Das Zeichnen nach der Natur wurde zum wertvollsten Trainingsfeld für einen Künstler und blieb es bis ins 20..Jahrhundert. Dann hatte sich die Fotografie soweit entwickelt, dass handlichere Apparate und schnellere Belichtungszeiten dafür sorgten, dass der Fotoapparat sich von der schweren Ateliermaschine hin zum gut transportablen Gerät und endlich zur Taschenkamera entwickelte. 

Otto Eduard Pippel,
Studie eines Geigers, 1910-20

Aber auch dann blieb die Handzeichnung noch lange die Grundausbildung der Bildenden Künstler und Künstlerinnen. Aktzeichnen war auch in meinem Studium 1969-76 ein wichtiges Angebot. Und es war für mich niemals Pflichtaufgabe oder gar Qual, sondern machte mir Freude.
Warum eigentlich hat die Fotografie der Zeichnung auch bald 200 Jahre nach ihren ersten Anfängen nicht ein Ende bereitet? Die Fotografie begann sogar, der Zeichnung als Vorlage zu dienen, umgekehrt entwickelte sich eine Reihe von Techniken, mit denen die Zeichnung der Fotografie so nah wie möglich kommen wollte, zum Beispiel im Fotorealismus eines Chuck Close oder Richard Estes.

Banale Feststellung: Zeichnen schult den Blick. Vor wenigen Tagen saß ich in der U-Bahn neben einer jungen Asiatin, die, sobald sie saß, ein Skizzenbuch und einen Beutel Stifte hervorzog, mit deren Hilfe sie einen anderen Fahrgast mit Basecap, Kopfhörern und Handy festhielt. Sie entwarf die Skizze mit hell orangem Fineliner und kräftigte sie, als sie zufrieden war, mit schwarzen und olivgrünen Konturen. Ein kurzes Blättern ließ mich erahnen, dass sie schon eine große Zahl solcher Skizzen in diesem Buch angesammelt hatte. Die Proportionen stimmten nicht, der junge Mann war lange nicht so hoch und schmal, aber das tut nichts, denn ihr ging es offensichtlich um eine Essenz der fahrenden Menschen, um eine Verdichtung des Lebens in einem öffentlichen Verkehrsmittel. 

Baptiste, ein Studienkollege von mir, ca. 1973

Und darum wird das Zeichnen nach der Natur hoffentlich niemals von der Fotografie verdrängt werden. Junge Zeichnerinnen und Zeichner haben oft nicht die Klugheit dieser Künstlerin neben mir. Sie wollen gleich als Chef anfangen; besonders anfällig dafür sind jene, die den japanischen Stilen nacheifern, den Manga und anderen grafischen Novellen. Sie machen sich nicht gern die Mühe mit dem Zeichnen nach der Natur, einem Umweg, wie sie wohl meinen. Sie adaptieren vor allem den Stil, den sie bewundern. Schaut man näher hin, sind ihre Figuren eine Katastrophe, die Details wie Hände, Schultern und Hälse sind grauenvolle Verkrüppelungen, die in dem Bemühen, gotische Längen zu erreichen, furchtbar entgleisen können. Auf Befragen, wie ich das fände, riet ich mal, sich erst einmal in die Natur zu vertiefen, Akt zu zeichnen, Pflanzen, Tiere und Dinge in ihrer Umgebung; die jungen Manga-Fans müssen mich für entsetzlich uncool gehalten haben. Wer gibt sich damit denn ab.